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Im Rückentext zum Buch heißt es:
Gewalt gegen Ausländer, Juden oder Obdachlose -
Sündenböcke werden geschlachtet, als wären wir noch immer einer uralten Opferkultur verhaftet. Mit historischem Sinn und tiefernst, mit Witz und wortgewandt erzählen Brangsch und Wolfram, wie gesellschaftspolitische Ohnmacht jene Monster gebiert und setzen einen fast vergessenen Begriff dagegen: Emanzipation.
Dieses Buch kommt so leicht daher und der Leser wird zunächst kaum gewahr, dass
die Autoren alle die liebgewordenen Denkfaulheiten infrage stellen, die uns bisher so
hoffnungslos machten.
Ralf
Timm-Arnow schreibt:
Die
Autoren bieten einen Dialog, selten geworden im vom Essay dominierten öffentlichen
Diskurs. Und wer sich vom allzu weiten Bogen, der sich von Arbeitslosigkeit bis
zu Filmen á la „Kevin allein in New York“ überspannt, nicht abschrecken läßt,
wird mit einem bestechenden Gedanken belohnt: wir bedürfen der Sündenböcke
bis heute als Ventile unserer – sozialen wie privaten – Unterlassungen und
als Stifter von – kleinen wie großen – Gemeinschaften, in denen sonst jeder
jedem an die Gurgel strebt. Das ist nicht neu. Literaturhistoriker wie René
Girard, auf den sich Brangsch und Wolfram ausdrücklich beziehen, und Theologen,
den gekreuzigten Heiland vor Augen, haben den Judenverfolgungen und
Scheiterhaufen mit wissenschaftlicher Einsicht oder wissendem Glauben zu wehren
versucht. Brangsch und Wolfram setzen gerade an der weithin akzeptierten
politischen Ohnmacht der meisten Menschen an und fordern ein, nun, bewusstes Tun
derselben. Sie nennen das, wo es denn praktiziert werden würde, Emanzipation
und erinnern damit an einen beinahe ausgetilgten Begriff, der bestenfalls noch
im Feminismus eine bornierte Heimat hat. Folgerichtig klopfen beide Gesprächspartner
– unter anderem – feministische Gedanken auf ihren Emanzipationsgehalt ab,
um schließlich den Begriff dort herauszulösen und ihn unterschiedslos für
alle Menschen zu beanspruchen. Auch das ist nicht eigentlich neu. Neu ist die
scharfe Konfrontation von Sündenbockzuweisungen an Ausländer, Männer,
Politiker, Autofahrer mit der Illusion des eingelösten Emanzipationsanspruches
in unserer Demokratie. Sie läßt einen bei der Frage einhalten, ob nicht doch
jeder von uns, wenn nicht an allem schuld, so doch für alles verantwortlich
ist, was so geschieht – und nicht geschieht. Da sind die Autoren fein raus.
Denn den Rest müssen die Menschen ja selbst stemmen. Die Autoren lassen deshalb
den Leser zum Ende ihres Gesprächs zunehmend allein und an dieser Stelle – so
einsichtig alle diese Einsichten aus sein mögen – läuft das Buch Gefahr nur
ein weiteres Buch unter all den anderen zu sein. Wenigstens lesen sollte man es.
Irma
W. Lorftman schreibt:
Leider
erschloß sich mir das Buch erst beim zweiten Lesen. Wer nimmt heute ein
zweites Mal schon auf sich. Zunächst: Lutz Brangsch und Martin Wolfram reden
miteinander, keiner von beiden weiß alles, sie müssen nachschlagen, lesen
einander aus ihren Notizen vor, widersprechen dem anderen, ergänzen den
anderen, lernen voneinander und bringen sich und uns, die Leser, dadurch
voran. Sie essen und trinken und wenn sie der auf Scheiterhaufen verbrannten
Ketzer gedenken, öffnen sie die Fenster. All das ist in der Textfassung des
Gesprächs stehengelassen worden und befremdet zunächst und hat doch mit dem
Anspruch dieses Buches zu tun, dem Wohlergehen aller Menschen verpflichtet zu
sein, nicht dem Wohlstand und schon gar nicht dem einiger weniger. Durch all
die nicht unbekannte(n) Geschichte(n) von Verfolgung der Juden, Ketzer, Hexen,
Ausländer hindurch zog sich wie ein roter Faden das Bemühen der Gesprächspartner,
den gordischen Knoten, unsere Verstrickung in die Gewalt zu zerschlagen ohne
zu zerstören, ohne einfach nur die Schuld daran einem weiteren Sündenbock in
die Schuhe zu schieben. Das ist ein aufregender, herausfordernder Gedanke und
ich hoffe mit den Autoren, daß er kritisch aufgegriffen wird.
Nur beim Feminismus kann und will ich den beiden Autoren durchaus nicht
folgen, da leben sie doch hoffnungslos hinterm Mond, der im Deutschen irrtümlich
männlichen Geschlechts ist. Und ausgerechnet Naomi Wolf, amerikanische
Feministin, frau mag von ihr halten was sie will, als „die“ Vertreterin
„des“ Feminismus hinzustellen, ist schlicht unredlich. Einfach weglassen,
beim zweiten Lesen.
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